Skip to main content

„Die meisten Deutschen sind Treppenstufen-Investoren“

Achim Seiler, Leiter Privatkundenbetreuung bei der Volksbank Kur- und Rheinpfalz

Interview mit Achim Seiler, Volksbank Kur- und Rheinpfalz, über das Anlegerverhalten der Deutschen

+++ Im vergangenen Jahr ging es mit den ohnehin schon niedrigen Sparzinsen weiter bergab. Doch am Anlageverhalten vieler deutscher Privatanleger hat dies bisher nur wenig geändert: Das Sparkonto und das Tagesgeldkonto waren auch im Jahr 2015 die beiden beliebtesten Anlageformen. Im Interview spricht Achim Seiler, Leiter Private Banking und Generalbevollmächtigter bei der Volksbank Kur- und Rheinpfalz, über das Anlegerverhalten der Deutschen – und darüber, was sich daran ändern sollte.

 

Herr Seiler, einer aktuellen Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung zufolge waren im Jahr 2015 53 % der deutschen Anleger zufrieden mit der Entwicklung ihrer Ersparnisse – angesichts der anhaltenden Nullzinsen ein bemerkenswertes Ergebnis, denn eine Investition in Aktien oder Fonds kommt für die große Mehrzahl der Deutschen nicht infrage. Wie erklären Sie sich dies?

Es gibt hierfür eigentlich nur eine Erklärung: Die absolute Resignation der Deutschen angesichts des aktuellen finanzpolitischen und kapitalmarktbezogenen Umfelds. Die Mehrheit der deutschen Anleger ist ausgesprochen risikoscheu: Die Gefahr, einen Euro zu verlieren, wiegt bei ihnen schwerer als die Chance, einen Euro zu gewinnen. Dieses Anlageverhalten, das vielfach von den Eltern und Großeltern übernommen und über Jahre hinweg gepflegt wurde, streifen nun viele nicht ohne Weiteres ab. Auch wenn alle Argumente dagegen sprechen, bleiben die meisten Deutschen weiterhin Treppenstufen-Investoren: Sie wollen feste Zinserträge und eine planbare, kontinuierliche Mehrung ihres Vermögens. Eine solche Herangehensweise ist jedoch mit alternativen Anlageformen wie etwa einem Aktieninvestment nicht vereinbar. In der Vergangenheit war dies kein Problem, denn früher war auch mit einem Festgeldkonto eine Verzinsung von drei Prozent drin – heute ist eine solche Rendite ohne Aktienkomponente nicht mehr zu erreichen.

 

Wird denn unter den aktuellen Bedingungen die Strategie der Risikovermeidung selbst zum Risiko – etwa im Hinblick auf eine künftig steigende Inflationsrate?

Auch im Moment werden die meisten Güter des alltäglichen Gebrauchs teurer – etwa Lebensmittel, Autos und Versicherungen, insbesondere jedoch die Mieten. Diese Entwicklungen machen sich gegenwärtig nur aufgrund der sehr niedrigen Energiepreise nicht in der offiziellen Inflationsrate bemerkbar. Steigen die Energiepreise wieder an, bedeutet eine Nullverzinsung des Sparkontos einen umso höheren Realwertverlust. Angesichts der rund 1,1 Billionen Euro, die in Deutschland in Form von täglich fälligen Einlagen gebunkert werden, findet so eine schleichende Enteignung der liquiden Geldvermögen in Deutschland statt.

 

Für wen hat die aktuelle Situation die gravierendsten Auswirkungen?

Am kritischsten sieht es sicherlich für die Berufsanfänger aus, denn ihnen bringen die klassischen Anlageformen überhaupt nichts mehr, ohne dass sie in der Vergangenheit die Gelegenheit gehabt hätten, Geld anzusparen. Wer auch heute noch eine Rendite von 3-4 % erreichen will, kommt um eine Aktienquote von etwa 50 % nicht herum – und diese wiederum ist ohne gewisse Schwankungen im Depot nicht zu haben. Wenn Privatanleger partout kein Risiko eingehen wollen, dann müssen wir dies natürlich akzeptieren. Im momentanen Zinsumfeld haben die deutschen Privatanleger allerdings nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder sie verzichten darauf, eine wirtschaftliche sinnvolle Altersvorsorge zu betreiben, oder sie fangen an, sich mit dem Thema Wertpapiere auseinanderzusetzen.

 

Während Aktien und Fonds bei den Deutschen einen anhaltend schweren Stand haben, wird Wohneigentum immer beliebter. Wie bewerten Sie die neue Liebe der Deutschen zum ‚Betongold‘?

Immobilien sind immer ein interessanter Baustein für den Vermögensaufbau. Allerdings handelt es sich dabei um ein sehr vielschichtiges Thema – nicht zuletzt, weil auch Immobilien als Wertanlage nicht ohne Risiken sind: Denn natürlich können sich auch auf dem Immobilienmarkt wie auf anderen Märkten Blasen bilden, und als Anlageobjekt wirft eine Immobilie nur dann eine langfristig zufriedenstellende Rendite ab, wenn sie in der richtigen Gegend steht und der richtige Mieter gefunden wird. Hinzu kommt, dass angesichts der niedrigen Zinsen gegenwärtig auch Anleger einen Immobilienkauf in Betracht ziehen, deren finanzielle Situation dies eigentlich nicht hergibt – und denen dann auch keine ausreichenden finanziellen Mittel für die private Altersvorsorge mehr zur Verfügung stehen.

 

Wie können Anleger, für die Wertpapiere Neuland sind, am besten in diesen Anlagebereich einsteigen?

Wenn Anleger keine Erfahrungen mit Wertpapieren haben, sind die Berührungsängste mit dieser Anlageklasse besonders hoch. Anleger, die ihr Vermögen breiter streuen und ihrem Portfolio auch Wertpapiere beimischen wollen, können jedoch aus einem breiten Spektrum an Fonds denjenigen wählen, der ihrem Chancen-Risiko-Profil am ehesten entspricht – von sicherheitsorientierten Mischfonds bis hin zum renditeorientierten Aktienfonds. Selbst bei einem reinen Aktienfonds wird gegenüber dem Kauf von Einzelaktien dabei das Risiko breiter gestreut, weil ein Fonds in Aktien verschiedener Unternehmen investiert. Außerdem kann man sich auch nach und nach an das Thema ‚Wertpapiere‘ herantasten – beispielsweise mit Hilfe eines Investitionsplans: Dadurch kann ein Anleger, der beispielsweise 30.000 Euro investieren will, diesen Betrag über zehn Einzahlungen à 3.000 Euro strecken. Die tagesaktuellen Schwankungen an den Aktienmärkten werden dadurch besser abgefangen und ein gleitender Eintritt in diese Anlageklasse ermöglicht.

 

Interview herunterladen (PDF) >>>